Energiekrise: Heinz-Glas leidet unter den hohen Energiekosten

2023-01-05 17:16:55 By : Ms. Alice hu

Düsseldorf Genau 400 Jahre nach der Gründung herrscht bei Heinz-Glas alles andere als Feierstimmung. Der fränkisch-thüringische Glashersteller kämpft mit enormen Energiekosten. 2019 lagen die Ausgaben für Strom und Gas bei elf Millionen Euro, in diesem Jahr werden es 32 Millionen Euro sein. „Es ist die größte Krise unserer Firmengeschichte“, sagt Inhaberin Carletta Heinz. „Aber wir Glasmacher sind ein zähes Völkchen – wir werden auch dieses Mal durchhalten.“

Die Auftragsbücher seien voll, man wolle die Kunden beliefern, erklärt die 38-Jährige. Nach der Chemie- und der Metallindustrie ist die Glasherstellung einer der energieintensivsten Industriezweige Deutschlands.

Heinz-Glas ist Weltmarktführer bei der Produktion und Veredelung von Parfümflakons. Das Familienunternehmen beliefert Kosmetikriesen wie L’Oréal oder Estée Lauder, stellt Duftfläschchen für Marken wie Hugo Boss oder Calvin Klein her. Pro Jahr produziert Heinz-Glas zwei Milliarden Flakons, jedes dritte Parfümfläschchen im Handel kommt von dem Traditionsbetrieb.

An Krisen ist das Familienunternehmen gewöhnt – von Anfang an: Es wurde inmitten des Dreißigjährigen Kriegs gegründet. Es überlebte beide Weltkriege und die Ölkrise in den 1970er-Jahren. Nun führt Carletta Heinz die Firma und ihre weltweit 4000 Mitarbeiter in der 13. Generation. Sie übernahm die Leitung 2020 inmitten der Pandemie. Jetzt muss sie die Probleme der Energiekrise in den Griff bekommen.

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Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kämpfte der Betrieb mit hohen Energiekosten. Holz, das damals als Energieträger diente, wurde knapp und teuer. Die Firma stellte auf Kohle um und wurde dabei durch staatliche Hilfe gerettet. Die Regierung unterstützte finanziell beim Bau der Eisenbahn, sodass die Kohle transportiert werden konnte.

Das Glasunternehmen ist seit 13 Generationen in Familienhand.

Das Glasunternehmen ist seit 13 Generationen in Familienhand.

Geschichte wiederholt sich – nur dass Heinz-Glas heute statt Holz viel Gas und Strom benötigt und die Regierung mit Energiepreisbremsen gegensteuern will. Diese sind aus Sicht von Inhaberin Heinz dringend nötig: „Sollte es keine Strom- und Gaspreisbremse geben, müssen wir unsere Produktion in Deutschland einstellen und in andere Länder verlagern.“

Bei den hohen Energiepreisen könne man hierzulande nicht wettbewerbsfähig produzieren. Dabei will Heinz die 1700 Arbeitsplätze in Deutschland erhalten.

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Wie damals erhöht die Krise auch jetzt den Druck, den Energieträger zu wechseln. Am Standort in Thüringen will Heinz-Glas schneller als ohnehin geplant Strom für die Produktion einsetzen, um sich unabhängiger vom Gas zu machen. Die Firma will dort ab 2025 komplett auf fossile Energieträger verzichten, indem sie auf grünen Strom und grünen Wasserstoff setzt.

Der Flakon-Produzent ist das zehntälteste Familienunternehmen Deutschlands, zeigt eine Liste der Stiftung Familienunternehmen. Auffällig ist, dass unter den Top Ten mit der Freiherr-von-Poschinger-Glasmanufaktur, Wiegand-Glas und Heinz-Glas gleich drei Unternehmen aus der Branche zu finden sind. Das liegt daran, dass die Eintrittshürden hoch sind, der Aufbau einer Glashütte etwa kostet heute mehrere zehn Millionen Euro.

Die 1570 gegründete Firma Wiegand-Glas ist sogar nur wenige Kilometer von der Heinz-Glas-Zentrale im fränkischen Kleintettau entfernt. Wiegand hat sich auf eine andere Branche fokussiert, stellt jeden Tag mehr als acht Millionen Glasbehälter für die Getränke- und Lebensmittelindustrie her.

Neben Heinz-Glas und Wiegand haben sich in der dicht bewaldeten Provinz in der bayrisch-thüringischen Grenzregion weitere Glasunternehmen angesiedelt, weil Holz in den Gründungszeiten für die Glasschmelze genutzt wurde.

Sollte es heute zu einem Gaslieferstopp kommen, würde das die Region besonders treffen: In der kleinen Gemeinde Tettau arbeiten 5000 Mitarbeiter für Glasfirmen, denen Kurzarbeit droht. Konsequenzen hätte das auch für 4000 weitere Arbeitskräfte aus nachgelagerten Betrieben oder örtlichen Geschäften.

Für diesen Fall hat Heinz-Glas schon vorgesorgt. An dem bayrischen Standort wurde ein Tank für Propangas gebaut. Jeden Tag müsste ein Tanklaster das Gas liefern, um den Betrieb am Laufen zu halten.

1622 eröffnete Hanß Heintz im thüringischen Piesau das erste Werk des Unternehmens. Zu diesem Zeitpunkt waren Mitglieder der Familie schon seit fast 100 Jahren als Glasmacher tätig. 1661 entstand das Werk in Kleintettau. Beide Standorte gibt es noch heute.

Das Foto entstand um das Jahr 1900.

Das Foto entstand um das Jahr 1900.

Damals war das Sortiment größer, das Familienunternehmen produzierte Gläser etwa für Medizin oder Spirituosen. Bis in die 1990er-Jahre stellte Heinz-Glas etwa Flaschen für den Spirituosenhersteller Underberg her. Mit der Jahrtausendwende fokussierte sich der Betrieb auf den wachsenden Parfüm- und Kosmetikmarkt.

Zu den großen Firmenkrisen zählt ein Brand im Jahr 1904. Die damals fast 250 Jahre alte Glashütte im bayrischen Kleintettau wurde vorsätzlich angesteckt. Davon ließen sich die Inhaber nicht beirren, sie bauten am unteren Dorfende eine neue und modernere Produktionsstätte auf.

Auch während der beiden Weltkriege machte die Firma aus der Not eine Tugend: Die Produktion wurde etwa auf Dosen für Schuhcreme umgestellt, die die Soldaten zur Pflege ihrer Stiefel benötigten. Obwohl die Firma im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter einsetzte, war das Personal kriegsbedingt knapp.

Daraus entstand 1943 die Idee zur ersten vollautomatisierten Maschine für die Glasherstellung. „Wir haben uns all die Jahre nicht abschrecken lassen und immer nach Lösungen gesucht, weil wir an unser Produkt glauben“, sagt Inhaberin Carletta Heinz.

Als Deutschland geteilt war, war auch Heinz-Glas geteilt. Die beiden Standorte lagen zwar nicht weit auseinander, aber sehr wohl in zwei verschiedenen Ländern. Der Betrieb in Thüringen wurde verstaatlicht, nach der Wende kaufte Heinz-Glas den ostdeutschen Standort zurück und modernisierte ihn.

Im Westen startete Heinz-Glas 1955 als erstes Glasunternehmen in Deutschland eine Kunststoffproduktion, weil viele Hersteller seinerzeit auf Plastikverpackungen umgestiegen sind. Heute ist dieses Geschäft wieder rückläufig, steht für weniger als zehn Prozent des Umsatzes, weil Markenartikler Plastik vermeiden wollen.

Einen Wachstumsschub bekam das Unternehmen durch Carl-August Heinz, dem Vater der heutigen Inhaberin. Mit 330 Millionen Euro ist der Umsatz nun 13-mal so hoch wie vor seinem Einstieg. Er begann 1977 in der Geschäftsführung, mittlerweile sitzt der 72-Jährige im Beirat. Er trieb die Internationalisierung voran, expandierte nach Belgien, Polen, Tschechien, Amerika, Südamerika und Indien.

Der erste Glasmacher der Familie Heintz ist in Thüringen als Glasmacher tätig.

Das Werk in Piesau in Thüringen wird durch Hans Heintz und drei weitere Glasmacher gegründet.

Das Werk in Kleintettau in Bayern wird gegründet.

Wegen hoher Holzpreise stellt Heinz-Glas die Produktion auf Kohle um.

Das Unternehmen baut nach dem Brand der alten Glashütte eine moderne Glashütte in Kleintettau auf.

In der Eifel wird ein Zweitwerk gegründet, das 1989 wieder verkauft wird.

Heinz-Glas eröffnet als erste Glashütte in Deutschland eine Kunststoffproduktion.

Das Unternehmen setzt seine erste vollelektrische Schmelzwanne in der Produktion ein.

Beginn der Internationalisierung durch Carl-August Heinz durch den Kauf einer Glashütte in Belgien.

Nach der Wiedervereinigung kauft Heinz-Glas sein Werk in Thüringen zurück. Zu DDR-Zeiten war es verstaatlicht worden.

Die Glasproduktion in Polen startet.

Ein Veredelungswerk in Tschechien wird gegründet.

In der Nähe von New York eröffnet Heinz-Glas ein Vertriebsbüro und ein Lager.

Heinz-Glas startet die Glasproduktion in Lima in Peru.

Glasproduktion in Indien startet als Joint Venture mit einer indischen Glasmacherfamilie.

Heinz Glas beginnt mit der Glasproduktion und -veredelung in China.

Carletta Heinz will diesen Kurs fortsetzen. So eröffnete die Firma dieses Jahr ein Werk zur Glasproduktion und Veredelung in China. Dort ist die Nachfrage nach hochwertigen Cremes und Parfüms besonders hoch. Noch sind Frankreich und die USA die wichtigsten Märkte für Heinz-Glas, das Unternehmen erzielt 80 Prozent seines Umsatzes im Ausland.

Heinz-Glas macht 330 Millionen Euro Umsatz.

Heinz-Glas macht 330 Millionen Euro Umsatz.

Die heutige Inhaberin arbeitet seit Ende 2013 in dem Unternehmen. Sie etablierte das Thema Nachhaltigkeit als strategisches Ziel und professionalisierte die Strukturen: Sie führte regelmäßige Meetings ein, richtete Ziele an Kennzahlen aus. „Wegen des schnellen Wachstums wurde Heinz-Glas noch wie ein Handwerksbetrieb geführt.“

Hauptgesellschafterin Heinz leitet den Betrieb mit drei Fremdgeschäftsführern. Ein Familienunternehmen soll Heinz-Glas auch in Zukunft bleiben. „Wir können langfristig denken und haben es leichter als eine Aktiengesellschaft, Durststrecken zu überstehen“, sagt sie. Das bedeute aber nicht zwingend, dass ihr jetzt einjähriger Sohn die Firma künftig leiten muss, wenn er nicht wolle. Ein gutes Fremdmanagement sei auch denkbar.

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Dass sie zu den ältesten Familienunternehmern der Republik zählt, macht Carletta Heinz stolz. Sie sagt aber auch: „Wir müssen aufpassen, dass Tradition nicht mit altmodisch verwechselt wird.“ Es sei wichtig, dass ihr Unternehmen auch nach 400 Jahren innovativ bleibe.

Sollten die staatlichen Energiehilfen bei Heinz-Glas ankommen, blickt die Inhaberin optimistisch nach vorn. „Wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, wollen sich viele Menschen noch zumindest einen kleinen Luxus wie Parfüm gönnen“, sagt Heinz. Vielleicht doch ein Grund, das 400-jährige Firmenbestehen zu feiern.

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