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Kaum eine Woche vergeht zurzeit ohne Aufrufe zum Energiesparen und neuen Warnungen vor noch höheren Gaspreisen. Wie aber bereiten sich deutsche Unternehmen konkret auf den drohenden Gasmangel im Winterhalbjahr vor?
Ola Källenius strahlt Zuversicht in der Krise aus: Vor wenigen Tagen kündigte der Chef von Mercedes-Benz an, das Unternehmen bereite sich darauf vor, seinen Erdgasverbrauch in Deutschland um bis zu 50 Prozent zu senken. "Wir wären in der Lage, diese Maßnahmen dieses Jahr umzusetzen", sagte der Konzernchef vor kurzem bei einer Telefonkonferenz mit Investoren.
Källenius gab sich zuversichtlich, mögliche Lieferausfälle beim Gas mit grünem Strom aus erneuerbaren Energiequellen ersetzen zu können. Außerdem will der Autobauer noch mehr Energie einsparen und im Fall der Fälle Öl statt Gas verbrennen. Bis jetzt habe Mercedes-Benz seinen Gasverbrauch schon um ein Zehntel gedrückt, rechnete Källenius vor. "Wir wissen nicht, was passieren wird", sagte er mit Blick auf die Unsicherheiten bei der Gasversorgung. Im Notfall sei aber einiges machbar - sogar die Lackiererei im zentralen Werk in Sindelfingen bei Stuttgart könne zur Not ganz ohne Gas auskommen.
Dabei hält sich der Gasbedarf in der Automobilbranche noch in Grenzen. Vor allem beim Vergleich mit der Chemie-, Stahl-, Glas- und Papier-Industrie, die zusammen mit den Aluminium-Produzenten die größten industriellen Gasverbraucher in Deutschland sind.
Produktion der Mercedes S-Klasse in Sindelfingen
Allein das Stammwerk des weltgrößten Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen (Artikelbild) verbraucht pro Jahr so viel Energie wie Dänemark. Das Nachbarland im Norden wird immer wieder als Vorbild genannt, weil es rund 80 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft erzeugt. Trotzdem könnte Dänemark damit noch nicht einmal ein einziges Chemie-Werk im hoch industrialisierten Nachbarland komplett mit Energie versorgen.
BASF-Konzernchef Martin Brudermüller rechnet damit, dass die Produktion im Ludwigshafener Stammwerk selbst dann weiterlaufen kann, wenn die Bundesregierung die höchste Gasnotfallstufe ausruft. Man gehe davon aus, dass BASF ausreichend Gas erhalten würde, um den Betrieb mit verringerter Last aufrechtzuerhalten, sagte Brudermüller im Juli.
Ende April hatte er gesagt, dass der Betrieb in Ludwigshafen notfalls heruntergefahren werden muss. Am zweitgrößten deutschen BASF-Standort Schwarzheide in Brandenburg könne das Unternehmen dagegen 100 Prozent des Strom- und Dampfbedarfs mit Heizöl erzeugen.
Und für die Produktionsstandorte außerhalb Europas werde ein möglicher Gasmangel in Europa kaum Auswirkungen haben. BASF unterhält so genannte Verbundstandorte, wo eine ganze Palette an chemischen Produkten produziert werden, unter anderem in den USA, Malaysia und China.
BASF-Produktionsanlage für biologisch abbaubaren Kunststoff für die Verpackungsindustrie
Ganz so einfach ist die Lage in der deutschen Aluminiumbranche nicht. Die besonders energieintensive Branche bereitet sich wegen der Unsicherheiten bei der Gasversorgung auf den Extremfall vor.
"Die Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario besteht bei den Unternehmen im Aufstellen von Notfallplänen", hatte der Präsident des Verbands Aluminium Deutschland, Hinrich Mählmann, Anfang Juli in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters erklärt. Dabei gehe es vor allem darum, welche Gasverbraucher zuerst und dann in der Folge abgeschaltet werden müssten.
Dies sei jedoch nur in einem gewissen Umfang möglich, danach müssten die Betriebe geschlossen werden. "Dann besteht der Notfallplan daraus, Liquidität so zu managen, dass die Firmen zumindest eine gewisse Zeit überleben. Aber auch dieser Zeitraum ist dann begrenzt."
Zur Aluminiumindustrie in Deutschland gehören rund 240 Unternehmen mit insgesamt mehr als 60.000 Beschäftigten und einem Umsatz von zuletzt knapp 22 Milliarden Euro.
Aluminiumstangen in einem Lager der Trimet Aluminium SE in Essen
Die Verfügbarkeit von Gas sei für die Aluminium-Industrie und ihre Produktionsprozesse von enormer Bedeutung, unterstreicht Mählmann. Die Produkte würden mehrmals wärmebehandelt. Dazu gehöre das Schmelzen beim Recycling oder das Aufwärmen bei der Bearbeitung. Ersetzen lasse sich das Gas nicht so ohne weiteres und auch nicht kurzfristig.
Aus einer von Aluminium Deutschland durchgeführten Mitgliederbefragung gehe hervor, dass neun von zehn Unternehmen nicht auf einen anderen Energieträger ausweichen können, sollte kurzfristig kein Gas mehr zur Verfügung stehen. Bereits ab einer Verringerung der Gaszufuhr von bis zu 30 Prozent würde bei der Hälfte der Unternehmen die Produktion stillstehen.
Die energieintensiven Industrien bringen sich derzeit für eine Gasnotlage in Stellung und verstärken ihre Lobbyarbeit, falls Gas rationiert werden muss. "Die Bundesnetzagentur hat die großen Gasletztverbraucher befragt und daraus ihre Schlüsse gezogen", so Mählmann. Welche Unternehmen werden dann aber am Ende bei einem Gasmangel von der mächtigen Bundesnetzagentur als systemrelevant eingestuft?
"Wenn ein zweifelsohne systemrelevanter Hersteller von Aluminiumverpackungen für die Pharmabranche seine Vorprodukte, sogenannte Butzen, nicht bekommt, ist ihm auch nicht geholfen. Genauso wenig kann ein Elektro-Pkw-Hersteller ein Auto ohne Aluminium-Batteriekasten verkaufen", gibt der Präsident des Aluminium-Verbands zu bedenken.
Flaschenbier-Produktion in der Brauerei Veltins in Grevenstein, NRW
Auch die deutschen Bierbrauer bereiten sich auf das Schlimmste vor. "Wenn russisches Gas ausbleibt, hätten wir ein erhebliches Problem", unterstreicht Michael Huber, Chef der 1824 gegründeten Privatbrauerei Veltins im Sauerland, in einem Interview mit dem "Handelsblatt".
"Ohne Gas kein Bier", bringt es der Brauerei-Chef auf den Punkt. "Sudhäuser brauchen viel Energie und werden überwiegend mit Gas betrieben. Veltins hat zwar einen Ölvorrat für fünf Wochen angeschafft, um im Notfall von Gas auf Öl zu wechseln", sagt Huber. Allerdings seien die Brauer extrem abhängig von Vorlieferanten. "Die Glasindustrie etwa kann ohne Gas nicht arbeiten. Allein Veltins braucht jedes Jahr rund 50 Millionen neue Flaschen. Die ganze Branche benötigt etwa 900 Millionen neue Bierflaschen, um den Mehrwegkreislauf aufrechtzuhalten."
Glasproduktion bei Wiegand-Glas in Grossbreitenbach, Thüringen
Wiegand-Glas aus Thüringen hat bereits die Weichen gestellt, um die Produktion von Gas auf Erdöl umstellen zu können. Neben Investitionen in die technische Umsetzung waren dafür auch neue Genehmigungsverfahren nötig.
Der Glashersteller kann künftig seine Schmelzwannen im Werk Großbreitenbach nahe der Grenze zu Bayern mit leichtem Heizöl statt - wie bisher - nur mit Erdgas beheizen. Die dafür nötige immissionsschutzrechtliche Genehmigung hatte das Energieministerium in Erfurt am vergangenen Montag erteilt.
Noch im Frühjahr hatte der Glashersteller Wiegand erklärt, man bereite sich auf ein Abschalt-Szenario vor. "Wir beschäftigen uns gerade damit, wie wir im schlimmsten Fall die Schmelzwannen selbst kontrolliert stilllegen können", hatte Geschäftsführer Nikolaus Wiegand Anfang April befürchtet.
In elf solcher Wannen hält das Unternehmen rund um die Uhr Tausende Tonnen Glas auf einer Temperatur von rund 1600 Grad Celsius. Versiegt der Gasstrom von heute auf morgen, so der Unternehmer, würde das Glas kalt und aushärten. Die Schmelzwannen wären dann nicht mehr zu retten - ein Millionenschaden.
Parfüm-Flakons von Heinz-Glas, einem von nur zwei Kosmetikglas-Produzenten in Deutschland
"Insgesamt arbeiten wir in der deutschen Glasindustrie am Effizienz-Maximum", hatte Carletta Heinz vor wenigen Monaten in einem gemeinsam mit Kommunalpolitikern, Gewerkschaftern und anderen Unternehmern veröffentlichten Video betont - Titel: "Alarmstufe Rot". Sie ist Inhaberin und Vorstands-Chefin von Heinz-Glas, das bekannt für seine Flakons ist, die für die internationale Kosmetik- und Parfüm-Industrie produziert werden.
Heinz beschäftigt 1500 Mitarbeiter in der Rennsteig-Region zwischen Thüringer Wald und Franken, weltweit sind es 3500. Carletta Heinz spricht die bittere Erkenntnis aus, die bei vielen Menschen in Deutschland offenbar noch nicht angekommen ist: "Wenn die Industrie hier nicht mehr produzieren kann, schwindet nicht der Bedarf, sondern es wird einfach, was wir hier produzieren, in anderen Ländern unter schlechteren und weniger nachhaltigen Bedingungen gefertigt."
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